Im ersten Teil meiner Blogartikel-Reihe über Strukturveränderungen in Organisationen, habe ich beschrieben, dass es aktuell für Unternehmen sehr wichtig ist, Strukturen regelmässig zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Im zweiten Teil der Blogartiikel-Reihe blicken wir ein wenig mit der psycho-sozialen Brille auf das Verhalten von Menschen in Organisationen. Wir kommen auch zur Erkenntnis, dass Unternehmen bei falsch verstandenen Personalentwicklungs- und Recruiting-Maßnahmen “Geld zum Fenster rauswerfen”.
Der Erfolg hängt vom Verhalten der Mitarbeitenden ab, oder?
Den Satz „Mitarbeitende sind unser größtes Kapital” schreiben sich viele Organisationen auf die Fahne. Schließlich ist das Verhalten von Mitarbeitenden maßgeblich für die Wertschöpfung und somit den Erfolg einer Organisation.
Wenig überraschend also, dass Misserfolge oft auch durch fehlende oder unerwünschte Verhaltensweisen von Mitarbeitenden erklärt werden. Diese Erklärung an sich muss nicht immer falsch sein, wie Organisationen darauf reagieren, häufig jedoch schon.
Der falsche Fokus auf Personalentwicklungs- und Recruiting-Maßnahmen?
Bleibt der Erfolg aus, fordern viele Führungskräfte pauschal: “Wir müssen die Mitarbeitenden entwickeln” oder “Wir benötigen andere Mitarbeitende”. Doch warum greifen die Forderungen nach Personalentwicklung und Neueinstellungen oftmals zu kurz?
Die zugrunde liegende Annahme baut darauf auf, dass sich durch neues Wissen und neue Fähigkeiten auch das Verhalten der Mitarbeitenden entsprechend verändert.
Befragen wir dazu die Psychologie: Wie bekomme ich nun Mitarbeitende dazu, sich so zu verhalten, wie es nötig zu sein scheint? Passung und Befähigung ist hier die Maxime. Wir brauchen die richtigen Leute an der richtigen Stelle und wir müssen sie bei Abweichungen der Passung entwickeln und schulen, damit sie den komplexen Anforderungen gerecht werden. Dafür analysieren wir die Arbeitsumwelt und die Person und gleichen das miteinander ab. Sollte sich eine Kandidat*in gefunden haben, der/die weitestgehend passt, kann – zumindest bei Abweichungen innerhalb eines gewissen Maßes – eine mögliche Lücke im Skillprofil über Schulungen und Trainings geschlossen werden: Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Verantwortungsübernahme, Entscheidungsfähigkeit und Konfliktbewältigung sind nur ein paar Beispiele, die in den Schulungskatalogen fast jeder Organisation zu finden sind. Es geht also bei den aktuellen Interventionen im Personalbereich um den so genannten Person-Environment-Fit.
Nun, das ist leider eine sehr einseitige Betrachtung. In der Psychologie spricht man von “Kausalmodellen beruflicher Leistung”, die jedoch schnell an ihre Grenzen stossen. Das Verhalten einer Person ist eben nicht nur von ihrer Persönlichkeit mit ihren Fähigkeiten und Kompetenzen abhängig.
Das Verhalten (V) einer Person innerhalb einer Organisation und ihrer Persönlichkeit (P) in eine Formel gepackt lautet:
V =ungleich P
Verändern sich nun das Wissen und die Fähigkeiten einer Person, dann hat das nicht zwangsläufig Auswirkungen auf das Verhalten.
Aber warum ist das so?
Der Kontext als das fehlendes Puzzleteil für Verhaltensänderungen
Der Schlüssel für eine sinnvolle und für alle Beteiligten nachvollziehbare Verhaltensänderung in Organisationen ist die Anpassung des Kontextes. Wer daran zweifelt, sollte nur mal Menschen in unterschiedlichen Kontexten beobachten: Wir verhalten uns anders, wenn wir in die Oper oder wenn wir ins Fußballstadion gehen. Wir benehmen uns anders beim Kaffeekränzchen mit der Familie als beim After-Work-Drink mit den Kollegen. Und wir verhalten uns anders, wenn wir Monopoly statt Schach spielen – selbst mit denselben Mitspielenden.
Verhaltensänderungen im beruflichen Umfeld sind durch den veränderten Kontext – ausgelöst durch die weltweite “Corona Pandemie” – vielerorts noch gut erkennbar. Am Beispiel der dadurch spontan erfolgten Strukturveränderungen in vielen Unternehmen wurde dies in der Etablierung von “Heimarbeitsplätzen” – sichtbar und erlebbar. War es beispielhaft für so manche Führungskraft nicht vorstellbar dass Mitarbeiter*innen ohne “Anwesenheitsverpflichtung” ihre Arbeiten durchführen, hat diese Kontextveränderung bzw. Strukturveränderung zu raschen und nachhaltigen Verhaltensänderungen bei eben diesen Führungskräften geführt.
Der Kontext bestimmt, mit den offenen und verborgenen Spielregeln, scheinbar das Verhalten der Menschen schneller und wirksamer als ursprünglich angenommen. Trotz allem wird der Einfluss des Kontexts noch viel zu häufig unterschätzt.
Das Verhalten (V) von Personen in Organisationen ist demnach die Summe aus Persönlichkeit (P) und Kontext (K). In eine Formel gepackt lautet das Theorem:
V = P + K
… wobei die Wirkung von K immer grösser ist als die von P.
Ein fundamentaler Fehler bei der Wahrnehmung von Ursachen
Geht es darum, eine Ursache für eine Handlung von Personen zu erkennen, dann schliessen wir Menschen oft die falschen Schlüsse. Die Psychologie kennt da eine Vielzahl an sogenannten kognitiven Verzerrungen als mögliche Ursache. Eine davon ist der “fundamentale Attributionsfehler”. Der beschreibt die Tendenz von Beobachtern, die Person selbst als Ursache für ihre Handlungen zu sehen.
Im weiteren überbewerten wir häufig den Einfluss von “dispositionalen Faktoren” (z. B. Fähigkeiten oder Anstrengungen) und unterschätzen den Einfluss von “externalen Faktoren” (z. B. Schwierigkeit einer Aufgabe oder erhaltene Unterstützung). Wenn nun eine Person eine unzureichende Leistung zeigt, dann gehen wir eher davon aus, dass diese Person einfach nicht die nötigen Fähigkeiten besitzt, statt es auf negative Einflüsse von außen zurückzuführen.
Standards und Normen besitzen eine große Anziehungskraft
Ein weiterer Umstand, der den aktuellen Kontexts zusätzlich fördert und stärkt, ist der Default-Effekt oder “Gewöhungseffekt” im täglichen Verhalten von Menschen. Dieser beschreibt eine überproportionale Bevorzugung der Voreinstellung bei Entscheidungen. Der Effekt zeigt sich sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Im Büro z.B. drucken Mitarbeitende am zentralen Drucker mehr einseitig, wenn dies die standardmäßige Voreinstellung ist. Obwohl es technisch möglich ist, inhaltlich und/oder ökologisch betrachtet eine andere Einstellung zu wählen, bleiben die Meisten bei der Vorauswahl.
Fazit: Der Kontext und Persönlichkeit entscheidet über das Verhalten
Der reine Fokus auf Entwicklungsmaßnahmen und Recruiting reicht nicht mehr weit, schnell und nachhaltig genug aus, um das Verhalten von Personen in Organisationen zu beeinflussen. Erst indem wir uns den Einfluss des Kontextes bewusst machen und zusätzlich zusammenhängende kognitive Verzerrungen besser verstehen, können wir bei Mitarbeiter*innen und Führungskräften sinnvolle und vor allem für alle Beteiligten nachvollziehbare Verhaltensänderungen erreichen und dies auch nachhaltig.
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