Dieser Artikel ist das Ergebnis aus vielen Gesprächen mit Fachexpert*innen auf dem Gebiet des Prozessmanagements. Insbesondere mit Organisationsgestalter und Wirtschaftstrainer Manfred Brandstätter haben wir intensiv über seine Erfahrungen aus über zwanzig Jahren Unternehmensberatung gesprochen.

Die 6 wichtigsten Trends für das Jahr 2024 lauten:

#1 Flexibilität über Perfektion

Die Definition von Qualität in Prozessen hat sich grundlegend gewandelt. Einen gut gestalteten Prozess zeichneten früher vor allem zwei Dinge aus: Erstens ein hoher Grad der Standardisierung und zweitens eine geringe Fehleranfälligkeit.

Mittlerweile ist es anders, wie Manfred Brandstätter klarstellt: „In einer sich ständig verändernden Welt ist Flexibilität oftmals wichtiger als Perfektion – also lieber 80% jetzt, als 100% dafür nie!” Wobei mit 80% die Herangehensweise und nicht die Qualität in Richtung Kunden gemeint ist. Diese muss immer 100% sein.

Einen gut gestalteten Prozess zeichnen heute andere Aspekte aus, wie z. B. Anpassungsfähigkeit und Effektivität.

#2 Kreativität durch Autonomie

Passend zum Trend #1 sollten Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen mehr Freiräume lassen. Speziell in “roten” Organisationsbereichen ( siehe Blogartikel Das Yin und Yang des Prozessmanagements ) sind anstatt detaillierter Verfahrensanweisungen, vereinfachte Prozessbeschreibungen, wie z.B. Checklisten anzuwenden. Diese schaffen klare Rahmenbedingungen, lassen jedoch Platz für Kreativität und Innovationsfähigkeit. Als Empfehlung rät Manfred Brandstätter: „So grob wie möglich und so detailliert wie nötig.”

#3 Geistiges Eigentum zurück ins Haus holen

In der jüngsten Vergangenheit verließen sich Organisationen bei der Gestaltung von Prozessen zunehmend auf Dritte – so haben z. B. Berater*innen oder Softwareanbieter mit “Best Practices” die Unternehmen mehr oder weniger erfolgreich auf “Effizienz gebürstet”. Darüber hinaus ist seit vielen Jahren falsch verstandenes Qualitätsmanagement ein Hinweis darauf, dass das Unternehmensmanagement seine Verantwortung für die Kernprozesse des Unternehmens nicht angemessen wahrnimmt, sondern in die Funktion “Qualitätsbeauftragter*in” auslagert und Qualität nur mehr “formalisiert” und nicht lebt.

In einer komplexen Welt wird die Fähigkeit zum effektiven Prozessmanagement immer wichtiger für die Wettbewerbsfähigkeit. Manfred Brandstätter sagt dazu: „Organisationen, egal ob bei Start-up oder Konzern, sollten die Fähigkeit zur Neu- und Umgestaltung des Prozessmanagements wieder stärker im eigenen Haus aufbauen”. Gelingt dies, kann das zu einem handfesten Wettbewerbsvorteil werden, um flexibel auf die zunehmende Marktdynamisierung zu reagieren.

Bewährte Maßnahmen hierfür sind neben Trainings, die regelmäßige Einbeziehung von allen Mitarbeiter*innen und Führungskräften in die eigene Prozesslandschaft.

#4 Lebenslanges Lernen als Schlüssel zum Erfolg

„Organisationen müssen schneller lernen”, betont Brandstätter. Dieses Ziel verfolgen auch sogenannte selbstlernende Organisationen. Durch das Etablieren von kontinuierlichen Feedbackrunden in der Organisation, werden Abläufe laufend angepasst. Dies sorgt für Flexibilität und erleichtert den Umgang mit Herausforderungen. Voraussetzung dafür ist laut Brandstätter eine „Kultur, die Neugier belohnt und Fehler als Lernchance sieht.” Werden alle Mitarbeiter in den Lernprozess einbezogen, entsteht eine resiliente und zukunftsfähige Organisation.

#5 Künstliche und menschliche Intelligenz

2023 war für viele das Jahr der künstlichen Intelligenz (KI). Die rasche Weiterentwicklung von KI wird sich im Jahr 2024 fortsetzen und das Prozessmanagement vor sich her treiben. Markttrends können früher erkannt werden, Prozesse speziell in “blauen” Organisationsbereichen ( siehe Blogartikel Das Yin und Yang des Prozessmanagements ) werden durch KI-Tools  automatisiert und selbstgesteuert überwacht werden. Der Bedarf an neuen Prozesskennzahlen wird durch KI laufend ermittelt, neue Schwellenwerte und Messwerte werden durch KI generiert und zur besseren Prozesssteuerung den Prozessverantwortlichen vorgeschlagen bzw. vollautomatisiert selbst gesteuert.

Auch in roten Organisationsbereichen werden KI Tools die Prozessverantwortlichkeiten und -beteiligten unterstützen. Von der selbstgesteuerten Analyse bei Prozessabweichungen, daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen und einfachen Checklisten, sowie automatisierte Prozessdokumentationen und Verteilung von Anweisungen werden wir in diesem und den weiteren Jahren erleben.

Trotz aller technologischen Umwälzungen wird der Mensch ein zentraler Faktor im Prozessmanagement bleiben. Das fördert nicht nur das Engagement von Mitarbeiter*innen, sondern befeuert realitätsnahe und praktikable Abläufe.

#6 Nachhaltige Organisationsveränderung funktioniert mit Fokus auf die Wertschöpfung

Während die Ablauforganisation in den letzten Jahrzehnten als stabiler Garant im Unternehmen betrachtet wurde, verändern sich die Kernprozesse in der Gegenwart und Zukunft wesentlich öfter und inhaltlich tiefgreifender als noch vor wenigen Jahren. Digitalisierung ist nur ein Treiber dieses Trends.

Change Projekte, speziell die Vorhaben agiler Transformationen in Richtung Scrum & Co, sind aktuell der Renner in der Organisationsberatung. Jedoch schaffen hauptsächlich Organisationsveränderungen mit direktem Einfluss auf die Wertschöpfungsprozesse den dauerhaften Nutzen in Unternehmen.

Gerade in Vorhaben der Organisationsveränderung erzeugt die gemeinsame Mitgestaltung von Mitarbeiter*innen und Führungskräften eine höhere Selbstwirksamkeit als die überwiegend gesteuerten Change Projekte nach “command & control” durch das Top Management.

Fazit

Flexibel, autonom und effektiv

Die Prozessmanagement-Trends für 2024 verdeutlichen die Bedeutung von Anpassungsfähigkeit und technologischer Innovation. Sie zeigen aber auch eine Renaissance der Effektivität statt einer starren Fokussierung auf Effizienz. Unternehmen, die diese Prinzipien verinnerlichen und konsequent umsetzen, werden für Herausforderungen der Zukunft bestens gerüstet sein.

Interviewer: Sebastian Ostroske + Patrik Kolligs