Falls du den ersten und zweiten Teil der Blogartikel-Reihe zu Strukturveränderungen in Organisationen noch nicht gelesen hast, könntest du dies natürlich nachholen. Zum Verständnis des dritten Teils hier zunächst eine kurze Zusammenfassung der vorherigen Artikel:

Teil 1: Das Ändern von Zielen innerhalb der bestehenden Strukturen reicht oftmals nicht mehr aus. Vielmehr müssen Organisationen fortlaufend ihre Strukturen hinterfragen und diese gegebenenfalls an ihre geänderten Ziele anpassen.

Teil 2: Gewünschte und sinnvolle Verhaltensweisen von Mitarbeitenden kann man nicht oder nur sehr schwer durch Personalentwicklung und Recruiting erzwingen. Denn im falschen System bringen auch die besten Leute keinen Erfolg.

Ich möchte festhalten: Strukturen sind wichtig für den Unternehmenserfolg, sollten jedoch – wenn nötig – angepasst werden. Solche Veränderungen sind herausfordernd – ich erzähle, wie sie dennoch gelingen können.

Veränderungen in Organisationen

“Veränderungen in Organisationen werden von der Unternehmenskultur schon zum Frühstück verspeist”. Das hatte in abgewandelter Form schon Peter Drucker 1972 behauptet. Denn bei Veränderungen in Organisationen weckt die Unternehmenskultur erst einmal das organisationale Immunsystem auf. Und dieses versucht in Form eines ausgeprägten Beharrungsvermögen einen Schutz vor Veränderung aufzubauen. Das manifestiert sich in Irritationen, Ablehnung und Widerständen bei Führunskräften und/oder MitarbeiterINNEN.

Die Hintergründe und Mechanismen des organisationalen Immunsystems sind mit Blick auf die Organisationstheorie und Gruppendynamik einfach erklärt: Vorab kurz zum Begriff der  Unternehmenskultur. Diese beschreibt das Verhalten einer Organisation in den unterschiedlichen Situationen des Alltags und setzt sich zusammen aus ihren formalen Strukturen der Ablauf-, Aufbau-, Entscheidungs- und Projektorganisation, aus den informellen Strukturen mit ihren offenen und nicht ausgesprochenen Glaubenssätzen sowie Entscheidungs- und Kommunikationsmustern aus der Vergangenheit. Die Unternehmenskultur ist sozusagen wie der Schatten eines Menschen, der eine Organisation begleitet. So wie der Schatten eines Menschen, ist die Unternehmenskultur auch nicht direkt zu beeinflussen.

Die Unternehmenskultur ist demnach ein gruppendynamisches Phänomen, das versucht den Kontext und Status Quo einer Organisation zu bewahren. Und die Unternehmenskultur ist es auch, die bei jedem Anflug von Veränderung, die Mechanismen des organisationalen  Immunsystems auslöst. Aber wie gelingt es nun, eine sinnvolle, für alle Personen nachvollziehbare und nachhaltige Veränderung in der Organisation zu etablieren, wenn sich doch das organisationale Immunsystem dagegen wehrt? Und wie kann man das organisationale Immunsystem doch noch überlisten?

Menschen reagieren unterschiedlich auf Veränderungen

„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“, lautet ein altes Sprichwort aus China. Und den Wind der Veränderungen bekommen Mitarbeitende besonders stark zu spüren, wenn es um “verordnete”, nicht nachvollziehbare und/oder unreflektierte Anpassung der Organisationsstruktur geht.

Mitarbeitende reagieren oftmals mit Widerständen – sie ziehen sich zurück, kündigen innerlich und/oder verlassen die Organisation. Andere versuchen, die neu geschaffenen Strukturen zu umgehen, indem sie interne Absprachen treffen. Es entstehen informelle Organisationsstrukturen, die von der formalen Struktur abweichen. Wir sprechen dann von der “Hinterbühne” der Organisation. Für einen bestimmten Zeitraum ist dies auch in Ordnung und setzt teilweise sogar notwendige Impulse. In Abhängigkeit zur Größe des Unternehmens weicht der Deckungsgrad zwischen formalen und informellen Strukturen ab. Überwiegt die Wirkung der “Hinterbühne” gegenüber der “Vorderbühne” einer Organisation maßgeblich und erzeugt Irritationen bei Kunden, MitarbeiterINNEN und Führungskräften, dann ist der Zeitpunkt gekommen, hier Änderungen vorzunehmen.

Das Immunsystem einer Organisation überlisten

Um gegen das organisationale Immunsystem anzukommen, braucht es eine passende Vorgehensweise zum richtigen Zeitpunkt. Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, wenn mutige Mitarbeitende und/oder Führungskräfte erkannt haben, dass die Zeit reif für “echte” und sinnvolle Veränderung ist. Die Methode eines Schutzraumprojektes ist eine mögliche Interventionsmethode die helfen kann, Widerstände, die das organisationale Immunsystem aufbaut zu umgehen und Mitarbeitende und Führungskräfte in die Verantwortung der Veränderungen miteinzubeziehen.

Als besondere Form eines Pilotprojekts zur Organisationsgestaltung zeichnet sich das Schutzraumprojekt aus durch …

  • eine Durchführung im Rahmen der bestehenden Unternehmenspraxis. Es handelt sich beim Schutzraumprojekt nicht um ein theoretisches Experiment oder Spiel. Mitarbeitende spüren daher, dass es ernst und wichtig ist
  • die Orientierung an der eigenen Wertschöpfung. Die Teilnehmenden werden nicht vor den dynamischen Anforderungen der Kunden oder Leistungsabnehmer geschützt, sondern lediglich vor der sonst im Unternehmen vorherrschenden Unternehmenskultur.
  • unmittelbares Feedback von Kunden und Mitarbeitenden sowie Führungskräften der eigenen Organisation. So müssen innerhalb des Schutzraumprojekts immer wieder alternative Lösungswege erarbeitet werden.

Durch die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen zeigt sich in der Praxis, dass Veränderungen, die in einem Schutzraumprojekt gestartet wurden, auf mehr Akzeptanz stoßen und zudem bessere Lösungen hervorbringen als klassische Change-Management-Formate.

In sechs Schritten zum erfolgreichen Schutzraumprojekt

Damit ein Schutzraumprojekt gelingen kann, braucht es unbedingt ein Mandat der Geschäftsführung. Anschließend wird von einem selbst nominierten Projektteam versucht, innerhalb eines festgelegten Zeitraums (1–3 Monate) ein definiertes Ziel mit alternativen Lösungen und Arbeitsweisen zu erreichen.

Es geht also darum, im Kleinen (Schutzraum) zu demonstrieren, wie Veränderungen konkret funktionieren und um aufzuzeigen, wie es auch im Großen (der gesamten Organisation) funktionieren wird. Zu diesem Zweck sind regelmässige Reflexionen mit der gesamten Organisation bzw. einer finalen Reflexion am Schluss des Vorhabens unbedingt notwendig.
Bis dahin durchläuft ein Schutzraumprojekt folgende sechs Schritte:

  1. Startpunkt festlegen: Zum Auftakt des Schutzraumprojekts wird ein “echtes” Problem in Form eines Lust- oder Frustfaktors identifiziert. Dazu kann die Methode der „Systemischen Auftragsklärung und Zielbildgestaltung” helfen.
  2. These aufstellen: Ziel des Schutzraumprojekts ist das Belegen oder Widerlegen einer Annahme. Diese sollte in Form einer These überprüfbar formuliert werden. Bei der Formulierung kann der Blogartikel zur Erfolgsmessung durch Kennzahlen helfen. Ein Beispiel: „Durch die Etablierung einer selbstorganisierten, crossfunktionalen Teamorganisation wird die Kundenzufriedenheitsbewertung der ausgelieferten Produkte um 50 % gesteigert.”
  3. SchutzwächterIN suchen: Das Schutzraumprojekt sollte durch eine Person aus der eigenen Organisation begleitet werden, die das Mandat der Geschäftsführung besitzt und ein Interesse daran hat, dass das geplante Vorhaben erfolgreich sein wird.
  4. Projektteam zusammenstellen: Bis zu 9 Personen, die das Vertrauen des Schutzraumwächters besitzen, melden sich selbstständig für die Arbeit in Vollzeit im Schutzraumprojekt.
  5. Teilnehmende befähigen: Vor Beginn der Arbeit im Schutzraumprojekt werden die Teilnehmenden durch einen erfahrenen Trainer oder agilen Coach in der neuen Arbeitsweise, Zusammenarbeit und/oder Methodik unterwiesen und trainiert werden. Die empfohlene Dauer hierfür sind ein bis zwei Tage. Direkt im Anschluss daran startet die Umsetzung in der neuen Organisation/Arbeitsweise.
  6. Schutzraumprojekt umsetzen: Sind alle vorherigen Schritte erfolgreich abgeschlossen, startet die Projektlaufzeit.
    • Währenddessen wird das Projektteam von einem agilen Coach begleitet.
    • Der Schutzraumwächter sowie ausgewählte Führungskräfte werden vom agilen Coach durch ein Sparring unterstützt.
    • Es herrscht eine hohe Transparenz über die Geschehnisse im Schutzraum (z. B. durch regelmäßige Schutzraumprojekt-Café-Treffen). Dadurch können Mitarbeitende außerhalb der Pilotorganisation regelmäßig von Erkenntnissen erfahren.
    • Zum Ende der Projektlaufzeit erfolgt ein inhaltlicher und sozialer Abschluss.
    • In einer abschließenden Reflexion wird geklärt, ob der Schutzraum gehalten hat. Ob die Thesen bestätigt werden konnten. Welche Erfahrungen gesammelt wurden und vor allem, ob die neue Organisation nun teilweise oder ganzheitlich ausgerollt werden soll.
    • Vor Auflösung des Projektteams darf natürlich auch ein gemeinsames Feiern nicht fehlen.

Strukturveränderungen sind notwendig und gelingen, wenn sie bewusst gemacht und gemeinsam gestaltet werden

Die Blogartikel-Reihe über Strukturveränderungen hat Dir vielleicht gezeigt, warum Strukturen wichtig sind und wie notwendige Änderungen gelingen können. Nachfolgend erhältst du eine Checkliste, die du nutzen kannst, um den Reifegrad deiner Organisation in Bezug auf Strukturveränderungen zu überprüfen:

  1. Kennst Du als MitarbeiterIN und/oder Führungskraft den Zweck und die Wichtigkeit von Organisationsstrukturen?
  2. Passt Du als Führungskraft die bestehenden Organisationseinheiten mit ihren Organisationsstrukturen regelmässig an den Unternehmenszielen an?
  3. Hinterfragst Du als MitarbeiterIN und/oder Führungskraft bei gewünschten Verhaltensänderungen auch bestehende Strukturen?
  4. Habt ihr bereits Schutzraumprojekte genutzt, um die Akzeptanz und den Erfolg von Organisationsveränderungen zu steigern?

Du kannst noch nicht alle Fragen mit „Ja” beantworten? Dann probiere doch mal Scribble – die führende Methode für agiles Prozessmanagement aus. Hierzu eignen sich eine Reihe von kostenlosen Unterlagen und spannenden Veranstaltungen.